Conseiller Fédéral Samuel Schmid
1. EINLEITUNG
Eine alte Weisheit besagt, wer in guten Zeiten spart, hat auch in der Not etwas. Ein Naturgesetz, das von der Politik leider wenig beachtet wird. Dort gilt eher die Devise: Gib in guten Zeiten aus, was du in schlechten nicht hast. Mit der Folge, dass man in schlechten Zeiten noch weniger hat, als man sonst schon hätte. Das Phänomen ist bei weitem nicht nur auf den Bund beschränkt. Aber ich beschränke mich heute auf den Bund. Dieser macht trotz Schuldenbremse wieder Schulden. Die Einnahmen brechen aufgrund der anhaltend schlechten Wirtschaftslage dramatisch ein. Die Ausgaben wachsen dagegen weiter. Die Schere öffnet sich. Zwischen Einnahmen und Ausgaben liegen neuerdings wieder Welten.
De telles perspectives permettent de tout imaginer, et nous font craindre de devoir renoncer à des dépenses d’infrastructures, de renoncer à la coopération au développement, de renoncer à un allègement des impôts, de faire des économies au détriment des paysans, des étudiants, des militaires, de diminuer les rentes et de limiter les crédits pour la formation et la recherche. Le citoyen, étonné, se demande: Les membres du Parlement n’ont-ils pas, récemment encore, parlé de l’âge de la retraite flexible en sauvegardant les acquis sociaux ? D’une attention particulière à accorder aux veuves, de l’extension de la LPP en faveur des petits revenus ou de l’assurance maternité ? De grands sujets, qui ne sont pas gratuits et qui ont surtout des répercussions sur les charges accessoires de salaire de la classe moyenne. A quoi se raccrocher ?
Wir haben zwei Szenarien, die gleichzeitig ablaufen: Auf der einen Seite wird immer noch generös ausgebaut, auf der andern Seite werden verzweifelt Budgetlöcher gestopft. Das passt offensichtlich nicht zusammen. Der Grund liegt im Wesen der Politik. Sie macht zu lange zu grosse Versprechen. Wenn sie diese nicht einlösen kann, wird das Steuer in der Regel schnell und heftig herumgeworfen. Gefragt wäre aber eine Politik, die sich kontinuierlich entwickelt und nicht von einem Extrem ins andere fällt. Eine Politik, die nicht nur an heute, sondern auch an morgen denkt. Eine Politik eben, die von den Rahmenbedingungen ausgeht, die sein werden und nicht von denen, die waren.
Ein Beispiel: Heute kommen vier Erwerbstätige auf einen Rentner. In etwa zwanzig Jahren sind es noch drei Erwerbstätige. In etwa 50 Jahren entfallen auf einen Rentner zwei Erwerbstätige. Wir aber betreiben eine Politik, als kämen ewig vier Erwerbtätige für einen Rentner auf. Eine solche Politik kann nicht gut gehen. Sie ist nicht finanzierbar. Sie muss die Bürgerinnen und Bürger zwangsläufig enttäuschen.
2. DEMOGRAPHIE DER SCHWEIZ
Wenn wir eine erfolgreiche Sozialpolitik betreiben wollen, müssen wir die Rahmenbedingungen zur Kenntnis nehmen, unter denen sie stattfinden wird. Diese Rahmenbedingungen werden unter anderem ganz entscheidend von der Demographie bestimmt.
Heute zählt die Schweiz rund 7,2 Mio Einwohner. Im Jahre 2060 sind es zwischen 7 und 8 Mio. Die Zahl variiert je nach Annahme über Lebenserwartung, Geburtenrate und Einwanderung. So what? fragen Sie sich vielleicht. Wie immer steckt der Teufel aber im Detail. Heute leben in der Schweiz eine Million Personen über 65 Jahre. Im Jahr 2060 werden es über 2 Millionen sein und von diesen 2 Millionen werden rund 40% über 80 Jahre alt sein. Auf einen Rentner entfallen dann wie gesagt noch zwei Erwerbstätige. Die Lebenserwartung der Frauen steigt von 83 auf 89 und bei den Männern von 77 auf 85 Jahre. Zur Erinnerung: 1876 hatte die Lebenserwartung der Frauen noch bei 42 und die der Männer bei 39 Jahren gelegen. Selbst jetzt könnte man noch sagen: Kein Problem. Leider nimmt aber auch die Geburtenrate laufend ab. Heute hat die Durchschnittsschweizerin noch 1,3 Kinder. 1876 waren es über 4 und 1964 immerhin noch 2,7. Wer in die Schweiz einwandert, passt sich offenbar recht schnell den hiesigen Verhältnissen an. Niedergelassene Ausländerinnen haben im Schnitt zwei Kinder. Um die Bevölkerungszahl stabil zu halten, wären aber 2,1 Kinder pro Frau nötig. Jetzt wird klar: Auf uns kommen grosse Probleme zu:
• Mit einer anhaltend tiefen Geburtenrate von unter 2 Kindern pro Frau sterben wir ohne Einwanderung und ohne Einbürgerung aus.
• Die Bevölkerung wird immer älter. Die Lebensspanne nach dem Austritt aus dem Erwerbsleben wird länger und immer länger beschwerdefrei. Die Pflegebedürftigkeit wird zwar hinausgeschoben, nimmt aber insgesamt rasch zu.
• Die Zahl der Erwerbstätigen nimmt laufend ab. Ihre Belastung steigt aber wegen der gleichzeitigen Zunahme der älteren Personen weiter an.
3. LÖSUNGEN
Die Politik ist also gefordert. Was soll sie tun? Es gibt viele Lösungen, bessere und schlechtere. Wir müssen die schlechteren aussortieren und die besseren forcieren.
Erstens: Zahlen akzeptieren. Wir müssen die Zahlen akzeptieren, wie sie sind. Es hat keinen Wert, den Kopf in den Sand zu stecken. Wir dürfen nicht länger so tun, als ob alles wieder gut wird. Die Demographie ist kein Märchen, die Demographie ist Realität. In der Realität geschehen keine Wunder.
Zweitens: Demographiepolitik. Wir können versuchen, eine eigentliche Demographiepolitik zu betreiben. Kinderkrippen, Tagesschulen, Mutterschaftsversicherung, Bundeskinderzulagen wären dann Instrumente einer solchen Politik. Trotz den Beteuerungen ihrer Anhänger bleibe ich bezüglich demographischer Wirksamkeit eher skeptisch. Die Geburtenzahlen von Ländern mit umfassender staatlicher Kinderbetreuung liegen – wenn überhaupt – nur unwesentlich über unseren Werten. Zudem zeigt die Geschichte, dass die Geburtenrate in Krisenzeiten oft höher war als in Zeiten von Wohlstand und umfassender Versorgung.
Ich vermute, der Kinderwunsch entzieht sich staatlicher Einflussnahme und das ist auch richtig so. Kinder sind Privatsache und keine Leistung zugunsten des Staates, die von diesem abgegolten werden muss.
Drittens: Wirtschaftswachstum. Es ist unbestritten, dass die Effekte der Demografie durch die Wirtschaftsentwicklung ganz entscheidend verstärkt oder abgeschwächt werden. Wenn die Wirtschaft wächst, fällt es leichter, die Leistungen zu finanzieren als in Zeiten sinkender Einkommen und steigender Arbeitslosigkeit. Zwar kann sich die Schweiz den Trends der Weltwirtschaft nicht entziehen. Trotzdem hat sie aber Wege und Möglichkeiten, Standortvorteile zu behaupten oder gar auszubauen und langfristig auf den Wachstumspfad zurückzukehren. Das ist auch bitter nötig. Seit Jahren werden wir wie ein vom Gegenwind zermürbter Velorennfahrer von der Spitze durchs Feld nach hinten gereicht. Das Wachstum unseres Pro-Kopf-Einkommens der letzten 10 Jahre war negativ. Wir liegen zwar weltweit noch an dritter Stelle. Ohne einen kräftigen Schluck Isostar fallen wir aber bald noch mehr zurück. Das muss nicht sein. Nötig sind z.B. eine Reform der Unternehmenssteuer, die steuerliche Entlastung der Familien, die vermehrte Ausrichtung der KMU auch auf den internationalen Markt, die Verstärkung des Wettbewerbs im Inland, die Stabilisierung und Rückführung der Staatsquote auf ein konkurrenzfähiges Mass. Kurz: Es braucht eine eigentliche Wachstumsstrategie. Der Bundesrat hat diese kürzlich vorgelegt. Sie kann aber nur umgesetzt werden, wenn auch Sie mithelfen.
Viertens: Nachhaltige und ausgewogene Sozialpolitik. Die negativen Effekte der demografischen Entwicklung müssen wir mit einer nachhaltigen und ausgewogenen Sozialpolitik rechtzeitig auffangen. Rechtzeitig heisst: Ab jetzt. Nachhaltig heisst: Nicht auf Kosten der kommenden Generationen. Und ausgewogen heisst: Nicht nur auf dem Buckel des Mittelstandes. Der Mittelstand, das sind die SVP und ihre Wähler!
Würde man die heutigen Leistungen einfach fortschreiben, wären bis 2010 13 Mia Fr. oder 4,1 zusätzliche Mehrwertsteuerprozente nötig und bis 2025 insgesamt 29 Mia Fr. oder 8,7 Mehrwertsteuerprozente. Die Zahlen können je nach Wirtschaftswachstum noch etwas variieren. Wird der Sozialstaat weiter ausgebaut, wird der Mehrbedarf noch grösser. 1997 hatten wir gegenüber den kommenden Generationen bereits eine Nachhaltigkeitslücke von 66’000 Franken pro Person. Das sind unsere Schulden, die diese Generationen abtragen müssen, bevor sie etwas für sich verzehren können. Es wäre zutiefst unmoralisch, diese Schuld einfach weiter ansteigen zu lassen, indem wir mit unseren Sozialwerken über unseren Verhältnissen leben. Solange wir nicht bei den Leistungen ansetzen, nützt es unseren Kindern auch nichts, wenn wir das Gold der Nationalbank in den AHV-Fonds stecken. Das ist einfach ein Subito-Konsum, der es uns erlaubt, die fälligen Mehrwertsteuererhöhungen etwas vor uns hinzuschieben. Gefragt sind andere Massnahmen:
• Altersarbeit, „4. Säule »: Wenn es immer weniger Erwerbstätige gibt und immer mehr ältere Personen mit einer immer längeren und beschwerdefreien Restlebenszeit, dann sollten diese Personen länger im Erwerbsprozess eingebunden sein. Dabei geht es nicht einfach darum, das theoretische Rentenalter zu erhöhen. Dieses weicht nämlich vom effektiven Rentenalter erheblich ab. So sind in der Schweiz nur rund 73% der erwerbsfähigen Personen zwischen 50 und 64 Jahren tatsächlich erwerbstätig. Im Ausland liegen diese Werte noch viel tiefer: Die Niederlande und Italien kommen nicht einmal auf 50%. Es geht also eher darum, Arbeitsmodelle für ältere Personen zu finden, die einen schrittweisen und in der Regel nicht sub-ventionierten Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand erlauben. Das wäre dann die 4. Säule. Nicht Anreize zur Frühpensionierung sind in Zukunft gefragt, sondern solche zum differenzierten Ausbau der Altersarbeit. Diese Anreize können von der Politik gesetzt werden. Sie können aber auch von den Unternehmen selber gesetzt werden, die sich von Wissen und Erfahrung älterer Arbeitnehmer Wettbewerbsvorteile erhoffen.
• AHV-spezifische Massnahmen: In Frage kommen auch Massnahmen, die die Lasten gerechter verteilen als andere: Z. B. die Verlängerung des Rentenanpassungsrhythmus in der AHV, die Anpassung – nicht Abschaffung – des Mischindexes oder die Verstärkung von Bedarfsleistungen gegenüber flächendeckender Ausschüttung.
Die stärkere Gewichtung der Bedarfsleistungen braucht aber Augenmass. Die AHV soll nämlich eine Versicherung für alle sein und bleiben. Wer nur zahlt und gar nichts bekommt, auch wenn er es nicht unbedingt braucht, identifiziert sich nicht mehr mit dem Sozialversicherungssystem. Das liegt natürlich nicht im Interesse der Allgemeinheit. Sie muss beachten, dass persönliche Überzeugung und freiwillige Solidarität manchmal stärkerer Antrieb sind als staatlich verordnete Solidarität.
• Selbstverantwortung: Dies führt mich zu einem weiteren Punkt: Wenn die demographische Entwicklung gegen uns arbeitet und das Geld fehlt, dann ist auch wieder vermehrt Selbstverantwortung gefragt. In der beruflichen Vorsorge heisst das z.B., dass der einzelne mehr Verantwortung für sein Pensionskapital übernehmen soll. Mehr Mitbestimmung, mehr Transparenz, aber möglicherweise auch der Übergang zur freien Wahl der Pensionskasse stehen hier im Vordergrund. Im Gesundheitswesen bedeutet Selbstverantwortung z. B. mehr Prävention, Sport und eigenverantwortliche Gesundheitsvorsorge, mehr Honorierung gesundheitsbewussten Verhaltens über die Prämien, differenzierte Kostenbeteiligung je nach Art der Leistung, stärkere Gewichtung von Kosten-/ Nutzenüberlegungen bei der medizinischen Versorgung oder die verstärkte Einbindung der Angehörigen in den Pflegeprozess.
• Umverteilung: Keine geeignete Massnahme zur Konsolidierung der Sozialwerke ist der weitere Ausbau der Umverteilung. Also das, was z.B. die SP-Initiative mit den einkommens- und vermögensabhängigen Krankenkassenprämien und der massiven Erhöhung der Mehrwertsteuer will. Heute wird über die Steuern und die AHV umverteilt. Dagegen hat bestimmt niemand etwas einzuwenden. Umverteilung muss sein, will man einen gerechten Staat und ein lebenswertes Leben für alle. Nach den Steuern und der AHV wird aber weiter umverteilt: Über die Prämienverbilligungen, über die Spitex, über die Pflegeheime, über Kinderkrippen und Tagesschulen, um nur einige wenige Beispiele zu nennen. Diese Umverteilung ohne Grenzen und ohne Mass ist stossend. Sie strapaziert bei den Betroffenen das Gefühl für Solidarität und den Sinn für die Gemeinschaft. Aber vielleicht müssen wir ja schon froh sein, wenn sich nicht auch noch der Milchpreis nach dem Einkommen der Konsumenten richtet.
4. SCHLUSSWORT
Je résume: Nous nous trouvons devant un important défi démographique. Nous devons le prendre au sérieux et adapter notre politique en conséquence. Ce qu’il nous faut, ce sont avant tout des conditions générales
• qui favorisent la croissance économique,
• qui facilitent le travail rémunéré des personnes plus âgées,
• qui renforcent la prise de responsabilité de chacun,
• qui n’appauvrissent pas la classe moyenne,
• et qui créent des bases pour que les prochaines générations aient la possibilité et la liberté d’agir.
Ces conditions générales, nous devons les créer maintenant, et pas attendre que notre ministre des finances agite à nouveau son drapeau rouge. Nötig ist eine vorausschauende, kontinuierliche und verantwortungsbewusste Politik. Diese Politik ist möglich, weil wir alle wissen, wohin die Reise führt, wenn wir es wissen wollen. Sie wollen es wissen. Darum zähle auf die Politik der SVP, unsere Politik!
Und weil wir hier in Biel sind, zum Schluss noch das Gedicht eines Bielers, der nur schreiben konnte, wenn er nicht arbeitete und der nur arbeitete, wenn er nicht vom Schreiben leben konnte:
„Ich sah mich wohnhaft einst in Aussersihl,
wo ich Offerten richtete an Banken (…)
Von Zeit zu Zeit ging ich zu Fuss nach Biel,
der Stadt am See, dem hübschen, spiegelblanken (…). »
(Robert Walser)
Sie sehen: Wir Seeländer hatten nie Berührungsängste gegenüber Zürich, welches Quartier auch immer. Aber wir kommen auch wieder gern hierher zurück. An unseren See, in unsere Stadt! Jedem seine Heimat, allen die Schweiz!